Wirecard und die Digitalisierung der Justiz

Allgemein

Eine Zeugin aus Thailand, ein überforderter Justizbeamter und ein genervter Richter.

Ein Beitrag von Constantin Höhmann und Enci Huang

Der dritte Verhandlungstag im neuen Jahr im Wirecard-Betrugsprozess begann mit einem technischen Novum – zumindest für diesen Prozess. Mal zur Abwechslung saß eine Zeugin nicht mit Dr. Braun & Co. im teuersten Gerichtssaal Bayerns, sondern im Büro des thailändischen Generalstaatsanwalts. Möglich machte dies § 247a StPO. Danach kann das Gericht eine audiovisuelle Vernehmung eines Zeugen anordnen, wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann (§§ 247a, 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Dass diese Möglichkeit in Strafsachen eine Ausnahme ist, leuchtet ein. Denn grundsätzlich gilt das Prinzip der Unmittelbarkeit, d.h. ein Zeuge soll in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht vernommen werden, um z.B. aus dem Auftreten des Zeugen Rückschlüsse auf dessen Glaubwürdigkeit ziehen zu können.

Von dieser Ausnahme machte die vierte Strafkammer in diesem Fall Gebrauch. Der vorsitzende Richter Markus Födisch vernahm die Zeugin, Frau R. aus Bangkok, per Videoschalte über 8.000 km Luftlinie und 6 Stunden Zeitverschiebung hinweg. Was anfangs als musterhaftes Beispiel einer gelungenen Amtshilfe zwischen Thailand und Deutschland begann, entwickelte sich im Laufe des Verhandlungstags zu einem technischen Chaos. Streikende Kameras, Knacken in der Leitung und flackernde Bildschirme hinderten den Verteidiger des Hauptangeklagten, Dr. Markus Braun, daran, die Zeugin mit vermeintlich entlastenden Dokumenten zu konfrontieren, was eigentlich verwundert. Denn der 2016 neu eingeweihte Hochsicherheits-Verhandlungssaal ist hochmodern ausgestattet, mit hochauflösenden schwenkbaren Deckenkameras, riesigen Projektoren und Mikrofonen und Computerschnittstellen an jedem Platz. Dennoch musste der für die Technik zuständige Justizbeamte händeringend versuchen, den Bildschirm von Brauns Verteidiger mit einem 10m langen HDMI-Kabel auf seinen Computer zu projizieren, um dann nach Thailand zu übertragen, jedoch ohne jeglichen Erfolg. Eine Lösung des Problems musste her. Die Große Kammer unterbrach.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen des sichtlich angestrengten Justizbeamten wurde die Verhandlung schließlich fortgesetzt, wenn auch ohne Bildschirmübertragung. Der vorsitzende Richter verkündete kurzerhand: „Nehmen Sie meinen Laptop.“ Zwar konnte die Zeugin nun Brauns Verteidiger, Alfred Dierlamm, über den Laptop des Richters sehen, eine wirkliche Lösung der streikenden Bildschirmübertragung war aber nicht in Sicht. Dierlamm, der immer noch die Zeugin mit den vermeintlich entlastenden Dokumenten konfrontieren wollte, entschied sich ad hoc die Innenkamera des Richterlaptops zur Dokumentenkamera umzuwidmen. Dass dieser Versuch untauglich sein wird, war absehbar: Das Bild wackelte, die Zeichen waren unscharf und die Zeugin sichtlich irritiert. Ob Frau R. unter diesen Umständen überhaupt irgendetwas erkennen konnte, ist zweifelhaft. Zumindest blieb die Videoübertragung durchgehend stabil. Nach zwei Stunden beendete der vorsitzende Richter die Verhandlung in Rekordzeit. Das Ergebnis: Frau R. weiß von nichts, Herr Braun beteuert weiterhin seine Unschuld und die Justiz hat in Sachen Digitalisierung noch Nachholbedarf.

Für die nächste Woche ist die Vernehmung eines Zeugen aus Malaysia angesetzt. Technische Probleme sind dabei aber nicht zu besorgen, denn dieser wird hierfür eigens eingeflogen. Für die nächste Videovernehmung gilt jedoch: Es genügt nicht, nur die technischen Voraussetzungen zu schaffen, auch die Beteiligten müssen mit der Bedienung entsprechend geschult werden, um die Digitalisierung der Justiz erfolgreich voranzubringen.

Ãœber die Autoren:

Constantin Höhmann ist Head of Academic Events bei MLTech und studiert Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Enci Huang ist ehrenamtlich als Vorstand bei MLTech und ELSA München e.V. tätig und studiert Rechtswissenschaft an Ludwig-Maximilians-Universität München.

Bild von Dagmar Hollmann / Wikimedia Commons, Lizenz CC-BY-SA-4.0

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