Get to know Prof. Ph.D. Matthias Grabmair

Von

Nicolas Bodenschatz

Allgemein
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Matthias Grabmair ist Jurist, Informatiker und nach langer Forschungstätigkeit in den USA seit 2021 Professor für Legal Tech an der Technischen Universität München. 

Herr Grabmair, wann und womit begann Ihre Faszination für das Thema Legal Tech?

Ich kam auf sehr kuriosem Weg zu Legal Tech. Ich hatte bei der Entscheidung meines Studienfachs zwischen Informatik und Jura mit mir gerungen. Der Entschluss fiel dann zwar schließlich auf die Rechtswissenschaft, doch die Sehnsucht nach dem Programmieren blieb. Bei meinem Auslandsjahr, im Jahre 2004, an der University of Pittsburgh konnte ich mit Prof. Kevin Ashley, einem Pionier im Gebiet Artificial Intelligence and Law, im Rahmen eines LLM-Programms zusammenarbeiten. Die formale Wissensmodellierung und Datenanalyse in der Domäne der Rechtspraxis war damals noch ein „Orchideengebiet“. Nach meinem ersten Staatsexamen kehrte ich dann 2007 für meine Promotion im Bereich intelligente Systeme zurück nach Pittsburgh. Die erste Faszination ging für mich von der Entwicklung formaler Wissens- und Argumentmodelle aus, die eine gewisse mathematische Ästhetik haben. Nach einiger Forschung auf solchen sog. „symbolischen“ KI-Methoden zog es mich dann immer mehr in Richtung von Machine Learning und Natural Language Processing auf juristischen Daten. Das Forschungsgebiet „AI&Law“ und seine Community existiert im Übrigen bereits seit den 1980er Jahren, geht aber in der jüngsten Vergangenheit bekanntermaßen immer mehr im breiter aufgestellten „Legal Tech“ auf.

Welcher Teil Ihrer Arbeit in der Forschung und Lehre macht Ihnen am meisten Spaß?

Den meisten Spaß habe ich sicherlich an der Zusammenarbeit mit Kollegen, Studierenden und anderen Akteuren, die das Interesse an der technischen Modellierung rechtlicher Zusammenhänge teilen und dabei die Probleme und Geschichten hinter den Daten sehen. Das Miterleben von Aha-Momenten in interdisziplinären Projekten, wenn Informatiker plötzlich ein Stück EGMR-Rechtsprechung bergreifen oder Juristen zunächst seltsam erscheinende Phänomene in Daten mit ihrer Expertise erklären können, ist eine sehr motivierende Erfahrung.

Sie waren unter anderem in Pittsburgh als Postdoctoral Associate und Systems Scientist tätig. Wie ist München aus Ihrer Erfahrung im Bereich Legal Tech (in der studentischen Bildung) im Vergleich zu Pittsburgh aufgestellt?

Meine Zeit als Postdoc und Systems Scientist verbrachte ich am Language Technologies Institute der Carnegie Mellon University, wo ich hauptsächlich in einem Masterprogramm für Computational Data Science lehrte und nebenher meine AI&Law-Forschung betrieb. Die CMU hat keine juristische Fakultät und so entwickelten mein Doktorvater Kevin Ashley und ich 2019 einen gemeinsamen Kurs „Applied Legal Analytics & Artificial Intelligence“, an dem sowohl Studierende der CMU als auch der University of Pittsburgh teilnahmen. Dort wurden sowohl juristische Inhalte vermittelt als auch programmiert. Soweit ich weiß wird eine weiterentwickelte Version des Kurses nach wie vor dort abgehalten. Ähnlich wie in Deutschland handelt es sich jedoch für Jurastudenten dort auch um eine Wahlveranstaltung. Nichtsdestotrotz bringen in den USA Studierende gelegentlich technische Bachelorabschlüsse mit an die Law School, was interdisziplinäre Arbeit begünstigt. (Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Standorten liegt sicherlich in dem Konsens, dass Legal Tech Inhalte für Jura-Studierende zunehmend relevanter werden und eigentlich breit im Studium verankert werden müssten, die Umsetzung jedoch nur langsam voranschreitet. In München (bzw. Bayern) hat sich hier in der jüngsten Vergangenheit allerdings sehr viel getan, nicht zuletzt aufgrund des unermüdlichen Engagements von studentischen Initiativen wie MLTech. Das kürzlich gegründete TUM Legal Tech Colab bietet außerdem sehr wertvolle Unterstützung für Startups in diesem Bereich und fördert die lokale Community. Im direkten Vergleich sehe ich am Standort München insgesamt das deutlich größere Potenzial.

Gibt es in Deutschland im Bereich Legal Tech einen Aufholbedarf? Falls ja, haben Sie hierfür schon konkrete Maßnahmen ergriffen?

Die deutsche Legal Tech Szene ist aktuell sehr lebhaft und das Thema wird vielerorts mit Energie vorangetrieben. Man sollte nicht vergessen, dass es schon länger eine deutsche Rechtsinformatik-Gemeinschaft gibt und in den vergangenen Jahrzehnten selbstverständlich spezielle Software und Fachanwendungen in verschiedenen Bereichen entwickelt und auf die Straße gebracht wurden. Aus meiner Sicht geht der Aufholbedarf Deutschlands im Bereich Legal Tech Hand in Hand mit der nur langsam voranschreitenden Digitalisierung des öffentlichen Sektors. Viele Akteure tragen hier Verantwortung, um die Entwicklung zu unterstützen, wobei die Anwaltschaft inzwischen deutlich technologieaffiner auftritt. Wir als Forschungsgruppe sind auf der einen Seite dabei, technische Herausforderungen zu lösen, die beispielsweise bei der Anwendung moderner KI-Methoden in der Rechtspraxis auftreten. Auf der anderen Seite ist es mindestens genauso wichtig, qualifizierten technischen wie juristischen Sachverstand der jeweils anderen Seite nahezubringen. Wenn es uns in Deutschland gelingt, den interdisziplinären Dialog auf ein ausreichend hohes Niveau zu heben, ergeben sich Möglichkeiten, Teile des deutschen Rechtssystems im Kontext technologischer Innovation neu zu denken. Beispielsweise kollaboriere ich mit dem Zentrum für Digitalisierung des Steuerrechts der LMU (das LMU DigiTax) zum Thema domänenspezifische Sprachen und formale Gesetzesmodellierung. Das Ziel ist die Verbesserung der Digitaltauglichkeit deutscher Steuergesetze in Bezug auf ihr Entstehen sowie ihre anschließende Umsetzung in der Verwaltung. Ich sehe es hier als meine Aufgabe, die Potenziale der Nutzung bestimmter Technologien mit Enthusiasmus und Freiheitsgraden im Kopf zu kommunizieren, aber zugleich realistische und vertrauenswürdige Machbarkeitseinschätzungen zu geben.

Welche Bedeutung wird der Rolle des “Coding Lawyers” und des “Legal Engineers” in den kommenden Jahrzehnten zukommen? Nische oder Jobgarant?

Meiner Einschätzung nach werden wir uns noch einige Jahre in einer Expansionsphase im Bereich Legal Tech befinden. Juristen mit technischem Sachverstand werden daher weiterhin einen vergleichsweise hohen Marktwert haben und erleben die Chance, die künftige Landschaft von Infrastruktur und Tools mitprägen zu können. Dennoch sehen wir bereits in den USA, dass Startups wie Lex Machina und Ravel Law von großen Konzernen wie LexisNexis gekauft und der eigenen Produktpalette hinzugefügt werden. Ferner zeigen auch die aktuellen Geschehnisse um große Sprachmodelle wie ChatGPT, dass für Juristen relevante technische Funktionalitäten „kommodifiziert“ werden können und in der Zukunft möglicherweise von einigen wenigen Anbietern auf Plattformen und in Software-Ökosystemen attraktiv vermarktet werden. Ein letztes gegenläufiges Momentum ist in meinen Augen die graduell aber stetig zunehmende Erfassung von strukturierten Daten im Rechtssystem. Viel der aktuellen technischen Innovation findet im Bereich der Analyse unstrukturierter Rohdaten statt (z.B. Scans von PDF-Dokumenten), die in vielen Bereichen nach und nach von leichter verarbeitbaren und störsignalfreien Formaten abgelöst werden. Mit anderen Worten: Für diejenigen, die aktuell bzw. in naher Zukunft Entscheidungen über ihre Ausbildungsinhalte treffen müssen, kann Legal Tech ein sehr attraktiver Bestandteil des eigenen Profils werden. Mittel- bis langfristig erwarte ich allerdings auch eine gewisse Kontraktion des Marktes auf eine dauerhaft tragbare Größe. Spätestens dann sollten hoffentlich relevante technische Inhalte Einzug in das breitere Jurastudium sowie das Referendariat gefunden haben.

Wie könnte man Ihre Veranstaltungen zu Legal Data Science an der TUM an die juristische Ausbildung an der LMU anknüpfen? Ist eine Kooperation geplant?

Systemisch war jüngst die Einbeziehung von IT-Recht und Legal Tech in das Referendariat in Bayern ein sehr wichtiger Schritt. Die Schaffung von geeigneten Mechanismen zur Einbringung von entsprechenden Inhalten in die Studienordnungen vor dem ersten Examen ist aus meiner Sicht dringend auszuloten. Eine Beschäftigung mit Legal Tech muss sich im Jurastudium lohnen, anstatt „risikobehaftet“ vom Examensfokus abzulenken. Längerfristig glaube ich allerdings, dass wir die Technik-vs-Jura Dichotomie überwinden müssen. Die bessere Lösung wäre die holistische Einbettung von Technik in die juristischen Kerninhalte. Zivilrechtliche Vorlesungen sollten beispielsweise direkt im Rechtsgebietskontext Grundlagen rund um die technische Unterstützung von Schadensersatz-Massenverfahren oder Vertragsprüfungen vermitteln. 

Meine Vorlesung „Legal Data Science & Informatics“ an der TUM richtet sich im Schwerpunkt an Studierende technischer Disziplinen. Dort behandeln wir beispielsweise regel- und fallbasierte juristische Expertensysteme, Maschinelles Lernen und Natural Language Processing auf rechtlichen Daten, sowie Querschnittsthemen wie empirische Rechtsforschung und Fair Machine Learning. Es wird einiges an technischen Kenntnissen vorausgesetzt, doch die Veranstaltung steht prinzipiell auch LMU-Studierenden offen. Auf Anfrage gebe ich interessierten Jurastudenten gerne Zugang zu den Materialien. Im Wintersemester 2021/22 fand ferner wieder das gemeinsame Seminar „Synergien zwischen Rechtstheorie und Software Engineering“ statt, das auf die Lexalyze-Kollaboration zwischen Prof. Matthes (Informatik, TUM) und Herrn Prof. Grigoleit (Juristische Fakultät, LMU) zurückgeht.Ich habe schon zu verschiedenen Anlässen mit der Dekanin Frau Prof. Gsell sowie mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern sprechen können und bin selbstverständlich offen für mögliche Kooperationen. Ich freue mich sehr auf die Zukunft der Legal Tech Ausbildung am Standort München.

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